Jauchzet, frohlocket!

Letztens, als ich in einer recht vollen Straßenbahn auf dem Weg nach Hause auf dem Gang stand, fiel mein Blick wieder auf einen jener vertrauten Monitore, welche die Fahrgäste sehr treu mit Nachrichten und Quizfragen von Sachsen Fernsehen versorgen. Und ich las: Die Bauern frohlockten. Sofort holte ich ungläubig meine Brille hervor und tatsächlich: Ja, sie frohlockten! Genauer gesagt: Sachsens Bauern frohlockten „über optimale Bedingungen, um ihre Felder fürs nächste Jahr zu bestellen“. Das hat mich so erfreut! Und überrascht. Erstens, dass Bauern wieder einen Grund haben, sich zu freuen. Und zweitens, weil die Menschen heute viel zu selten „frohlocken“. Vor meinem inneren Auge sah ich sogleich eine pastorale Landschaft mit historisch gekleideten, erstaunt jubelnden Menschen vor mir. Das Wort frohlocken kenne ich hauptsächlich nur noch aus dem Weihnachtsoratorium:

Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage,
rühmet, was heute der Höchste getan!
Lasset das Zagen, verbannet die Klage,
stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!

Weihnachtsoratorium (https://www.bachfestleipzig.de/de/bachfest/text-des-weihnachtsoratorium)

In der (wie sich herausstellte, dpa-)Meldung ging es um handfeste Landwirtschaft unserer jetztigen Zeit:

„Es deute sich ein goldener Herbst an, sagte Bauernpräsident Torsten Krawczyk der Deutschen Presse-Agentur. Der Raps sei schon in der Erde, als nächstes folge die Wintergerste und später der Winterweizen – die flächenmäßig wichtigste Feldfrucht in Sachsen.“

https://www.sachsen-fernsehen.de/nach-der-getreideernte-sachsens-bauern-bestellen-felder-fuer-2024-1465047/

Ich finde, es ist eine wahrlich passende Wortwahl für eine Meldung kurz vor dem Sonntag, der in der evangelischen Kirche als Erntedanksonntag bekannt ist (der erste Sonntag im Oktober).

Frohlocken ist definitiv ein notleidendes Wort unserer Zeit, finde ich. Gerade im Nachrichtenkontext lokaler und globaler Krisen rechne ich nicht damit, es zu lesen – umso größer dann die Überraschung. Was für eine wunderbare Meldung!

Ebenso überrascht war ich, als ich im Duden meines Vertrauens nachschlug. Dort steht nämlich, dass frohlocken es auch etwas mit Schadenfreude zu tun hat, was mir bisher völlig entgangen war:

[spätmhd. vrolocken 2. Bestandteil wohl zu löcken] (geh.): 1. lebhafte Schadenfreude empfinden [u. laut zum Ausdruck bringen]; triumphieren; du hast da zu früh frohlockt; heimlich frohlockte er über den Mißerfolg seines Kollegen. 2. vor Freude jubeln; jauchzen: sie frohlockte über das gute Ergebnis.
3. (geh. veraltet) lobsingen: dem Herrn f.

Duden, Deutsches Universalwörterbuch A-Z, 2. Ausgabe, 1989

Wenn man nun im Duden löcken nachschaut, findet man:

[mhd. lecken = mit den Füßen ausschlagen]: meist in der Wendung wider/gegen den Stachel l. (geh.; etw., was als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden wird, nicht hinnehmen u. sich dem widersetzen; nach dem Ochsen, der gegen den Stachelstock des Treibers ausschlägt; nach Apg. 9,5 u. 26,14)

Duden, Deutsches Universalwörterbuch A-Z, 2. Ausgabe, 1989
Hinweis: [mhd.] steht dabei für mittelhochdeutsch; (geh.) für gehoben und Apg. für Apostelgeschichte
(Den Ausdruck ‚gegen den Stachel löcken‘ mochte ich übrigens noch nie, ich gebe ihn hier nur der Vollständigkeit halber wieder.)

Also, eigentlich müsste bzw. könnte man beim Frohlocken auch sachgemäß mit den Füßen ausschlagen. Nun ja. Wahrscheinlich sollte ich das erst einmal unauffällig im Keller üben, bevor ich zu einem geeigneten Anlass zur Tat schreite, um — dann ad hoc natürlich — mein Umfeld füglich zu überraschen.

Auf jeden Fall möchte ich mir ein Beispiel an der dpa nehmen und frohlocken beherzt an geeignete Stellen in meine Texte schleusen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Die Verlockung ist groß. Anlässe werden sich finden.