In der Celetnà-Straße 3/602 in Prag gab es von 1887 bis 1906 ein Galanteriewarengeschäft – ein Geschäft, das sich auf den Verkauf modischer Accessoirs spezialisierte.
Wahrscheinlich wäre es heute längst vergessen, wenn nicht sein Besitzer in die Literaturgeschichte eingegangen wäre: Hermann Kafka, der Vater von Franz Kafka. Bekanntheit dürfte der Geschäftsmann vor allem durch Franz Kafkas „Brief an den Vater“ erlangt haben, den der Schriftsteller 1919 verfasste – aber nie abschickte. Auf 103 Seiten schrieb sich Kafka seinen ganzen Frust von der Seele und portraitierte sehr anschaulich sein Leiden am Vater, der alles andere als liebenswürdig oder galant aus den Beschreibungen hervorgeht. Einige Ausschnitte des Briefs sind im Kafka-Museum in Prag zu sehen.
„Manchmal stelle ich mir die Landkarte ausgespannt und Dich quer über sie hin ausgestreckt vor. Und es ist mir dann, als kämen für mein Leben nur die Gegenden in Betracht, die Du entweder nicht bedeckst oder die nicht in Deiner Reichweite liegen. Und das sind entsprechend der Vorstellung, die ich von Deiner Größe habe, nicht viele und nicht sehr trostreiche Gegenden, und besonders die Ehe ist nicht darunter.“ (Brief an den Vater)
Noch heute gibt es in Prag alte Schilder mit der Aufschrift „Galanterie“, wobei aber anzunehmen ist, dass sich die Bedeutung später in Richtung Kurzwaren entwickelte.
Wenn es Zeitreisen gäbe, würde ich gern dieses Lädchen besuchen und mich persönlich in Galanteriewarenangelegenheiten beraten lassen. Ich würde heimlich von den Zierknopfleisten und Parfümfläschchen in der Auslage aufschauen um zu sehen, wer dieser Mann ist, der einen der überragendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts auf solch dramatische Weise geprägt hat, vermutlich ohne es im Entferntesten zu ahnen.
Links zum Thema:
Kafka-Museum in Prag
Ausstellungsführer zum Museum (nur dort erhältlich) oder
ggf. im Antiquariat: ZVAB
Wikipedia-Eintrag zu Galanteriewaren