Paternoster

Ach, waren das herrliche Zeiten, wo es noch in vielen Verwaltungsgebäuden ganz selbstverständlich Paternoster gab! Jene seltsamen Aufzüge mit offenen Kabinen, in die man innerlich gefasst und entschlossen im richtigen Moment eintreten musste, damit man die Plattform der jeweiligen Kabine auch sicher erreichte. Die also einer besonderen inneren Haltung bedurften, um benutzt zu werden. Und beim Aussteigen das gleiche: Wann war der geeignete Moment, hinauszuspringen (nicht zu früh und nicht zu spät?) – besonders wenn andere Leute auf der jeweiligen Etage standen, gewissermaßen als Zeugen und Begutachter der eigenen Ausstiegsfertigkeit, um dann selbst noch rechtzeitig konzentriert (und möglichst reibungslos) einzutreten.

Paternoster

Diese Dinger konnten einem ganz schön Respekt einflößen und waren auf ihre Art auch sehr geheimnisvoll. Das monotone Knarren. Und was passierte ganz oben und unten, wenn sich die Kabinen dem Blick entzogen, um einen verborgenen Prozess zu durchlaufen, dessen Ergebnis es war, die Richtung zu wechseln? Noch heute gruselt es einige Leute, wenn ich von Paternostern schwärme. Die Kabinen würden kopfüber in die andere Richtung wechseln und es sei ja nicht auszudenken, was passierte, wenn man einfach drin bliebe! Selbst wenn man weiß, dass dies natürlich nicht stimmt, scheint der Paternoster aufgrund seiner Eigenheiten unterbewusste Dinge und Ängste anzusprechen: vor dem Werden und Vergehen, vielleicht auch vor dem Warten und dem sich plötzlich Entschließen, vor dem Zögern oder gänzlichem Versagen, dem Beobachtetwerden in potentiellen Stresssituationen und was weiß ich wovon noch.

Auch sind Paternosterbegegnungen anderer Art als Fahrstuhlbegegnungen. Das Einsteigen, Hinzusteigen und Aussteigen bedarf einer noch sensibleren Abstimmung aller Beteiligten. Schließlich hat man keine Ahnung, wie weit der oder die andere fahren möchte und man ist geneigt, auf jedes Zucken zu achten, das ein Anzeichen des Aussteigenwollens verstanden werden könnte. Selbst kurze Gespräche lohnen nicht wirklich oder erscheinen einfach unangebracht. Auch sind Paternosterkabinen eher enger als die meisten Fahrstühle, was einen dann doch dazu verleitet, bei allem Respekt, eine Kabine für sich allein haben zu wollen.

Auch wenn der Paternoster vom Aussterben bedroht ist, hat er noch treue Freunde. So wurde der Paternoster im Rathaus Stuttgart Ende Juli 2015 kurzerhand zum „Partynoster“, als er nach zweimonatiger Zwangspause wieder in Betrieb genommen werden durfte (wie die Stadt Stuttgart und die Stuttgarter Nachrichten damals berichteten).

Und ich hatte vor einiger Zeit völlig unerhofft (allerdings nicht in Stuttgart) die Chance, mir einen lang gehegten Traum zu erfüllen: Ich bin nicht nur Paternoster gefahren – ich bin durchgefahren! Es war herrlich!! Muss ich mir Sorgen machen?

Beitrag auf der Website der Stadt Stuttgart zur Wiederinbetriebnahme des Paternosters

Artikel in den Stuttgarter Nachrichten vom 28. Juli 2015

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